Tag zwei einer Konferenz begrüßt einen ja immer schon mit einem ganz anderen Gefühl als der erste Tag. Man kennt schon viele Gesichter, setzt nicht mehr jeden Schritt vorsichtig vor den anderen, sondern marschiert gleich mal drauflos, man weiß, wo das Klo, die Bar, der Workshop, die netten Leute sind. Beim DLDwomen verstärkt sich dieses Gefühl noch mal dadurch, dass man hier einfach aufeinander zugeht, ins Gespräch kommt, wieder eigener Wege geht, später noch mal plaudert und vielleicht auch Mailadressen tauscht. Alles sehr angenehm, ohne alle drei Meter eine Visitenkarte ins Gesicht gesteckt zu bekommen. Ich hatte jedenfalls schon beim Aufwachen zwei Verabredungen für den Tag mit Menschen, die ich vor der Konferenz noch nicht kannte, und ich freute mich drauf.
An der Bushaltestelle traf ich zufällig eine Workshop-Mitteilnehmerin vom Vortag und wir sprachen da weiter, wo wir vortags aufgehört hatten: über fehlende role models für Mütter, die auch mit Kindern gerne und viel und gerne viel arbeiten möchten. Beziehungsweise, dass es so wunderbar auf dieser Konferenz ist, genau diese role models vor die Nase gesetzt zu bekommen, sich mit ihnen unterhalten zu können, und sich so automatisch weniger wie eine (was auch immer damit gemeint sein soll) „schlechte“ Mutter zu fühlen.
Leider zu spät gekommen und deswegen sowohl „Unite! An Urgent Call For Action“ als auch „#Activism“ halb verpasst, begann mein Tag mit Luc de Brabandere und seinem Vortrag „Thinking In New Boxes“. Bitte diesen Vortrag anschauen, denn so unterhaltsam und anschaulich habe ich noch niemanden über Kreativität und Innovation sprechen hören:
Als nächstes sprach Jaleh Bisharat über „Talent In The Sharing Economy“ und löste in mir viele widersprüchliche Gefühle aus. Ihre Thesen waren nämlich folgende fünf:
1) Corporate loyalty is dead.
2) Social networks have changed the way we hire.
3) The best talent isn’t necessarily within driving distance.
4) Businesses of one will be the new normal.
5) Work is no longer a place.
Heißt in mehr als fünf Sätzen: Wir binden uns nicht mehr ein Leben lang an ein Unternehmen, im Durchschnitt arbeiten junge Menschen heute drei Jahre für ein Unternehmen. Unsere Portfolios werden sich immer mehr ausdifferenzieren, wir werden mehr als nur einen Job haben, „we will be students for the rest of our lifes“, wie Bisharat es formulierte. Arbeitgeber können heute unsere Arbeit kennenlernen, noch bevor wir uns das erste Mal getroffen haben, sprich: Jemand kann auch auf Talente aufmerksam werden, ohne dass sich der- oder diejenige beworben hat oder einen öffentlichen Job hat. Außerdem steige in Zukunft die Zahl der so genannten Solopreneurs, die sowohl selbst Arbeit abliefern als auch andere anheuern, um Zuarbeiten machen zu lassen. Soweit das Szenario, das in mir gleichzeitig Begeisterung (yeah, Freiheit!) als auch Beklemmung auslöst.
Und diese widerstreitenden Gefühle gehören unweigerlich zu diesem Thesenpaket hinzu. Denn ja, es ist super, nicht auf Gedeih und Verderb an ein Unternehmen gebunden zu sein. Ich arbeite ja auch selbstständig, und zwar völlig freiwillig, ich schreibe für Magazine in München, Zeitungen in Hamburg, mache einen Podcast über die Distanz München–Berlin hinweg, und tatsächlich ist auch für mich die Arbeit kein bestimmter Ort, an den ich jeden Morgen gehe. Aber genau das vermisse ich auch mindestens einmal die Woche. Denn mein Job (und laut Bisharat die Jobs vieler Tausend oder Millionen Menschen der Zukunft) steckt 24/7 in meiner Hosentasche. Das Problem der ständigen Verfügbarkeit, dem Terror der Eigenverantwortlichkeit, das wird ja schon seit ein paar Jahren ausführlichst besprochen – und ich errinnere mich an Ursula von der Leyens Vortrag beim DLDwomen 2012, in der sie dazu aufrief, sich selbst Regeln aufzustellen, z.B. am Wochenende das Handy unbedingt ausgeschaltet zu lassen. Diese Selbstdisziplin ist etwas, das jede und jeder dieser Solopreneurs gar nicht zu viel üben kann (und ich glaube, man kann sie wirklich nur jeden Tag üben, man wird sie nie einfach so besitzen). Der Respekt vor den daraus folgenden Spielregeln der Selbstständigen muss aber auch den Arbeitgebern antrainiert werden. Notfalls mit technischen Ideen, die ja eben all die anderen Freiheiten erst einmal gebracht haben. So wie es für Freelancer Apps gibt, die die WLan-Verbindung für lange Strecken des Arbeitstages ausschalten, sollte es auch für Arbeitgeber Apps geben, die beispielsweise nach 19 Uhr oder an Samstagen beim Wählen einer Nummer oder Schreiben einer Mail nachfragen, ob man diesen Menschen wirklich in seinem Leben abseits der Arbeit stören möchte (und nicht vielleicht selber auch mal Feierabend machen sollte). Oder so.
Daneben bringt die Sharing Economy viele weitere Probleme mit sich, zum Beispiel Preisdumping. Wenn hunderte freie Journalisten, Web-Designerinnen, Übersetzerinnen, Fotografen ihre Arbeit auf Web-Portalen wie oDesk anbieten oder Haushaltshilfen auf Homejoy zu einer neuen Generation Tagelöhner werden, werden die Preise zwangsläufig fallen – so jedenfalls die Kritik von Tilman Baumgärtel, im Juni erschienen in der Zeit. Beide Firmen, oDesk und Homejoy stellten beim DLDwomen ihre Konzepte vor, deswegen erwähne ich sie. In digitaler und innovativer Hinsicht sind beide auf jeden Fall interessant. Arbeitsmarkttechnisch kann man beide allerdings auch kritisch sehen.
Den späten Vormittag verbrachte ich bei einem Workshop über „Personality PR„, der ein bisschen was von Psychotherapie hatte, deswegen aber auch sehr aufschlussreich war. Denn all die Fragen: Wer bin ich? Was kann ich? Was sind meine Stärken? Und die Schwächen?, die bringen einen ja auch beruflich voran, vor allem, wenn es vielleicht mal in eine andere Richtung als die bisherige gehen soll. Das unterhaltsamste an der Stunde Workshop – und Workshopleiter Tilo Bonow war schon sehr unterhaltsam – waren die vielen Smartphones, die bei jeder PowerPoint-Tafel in die Höhe gereckt wurden, manchmal auch das Stöhnen, wenn die Tafeln zu schnell wechselten und der Handykamera-Auslöser zu langsam war. Bonow war selbst fasziniert und amüsiert – aber hey, er war eben auf einer Digital-Konferenz. Dort taucht doch kaum jemand mit einem Nokia-Handy ohne Foto-Funktion auf (ich).
Der letzte Vortrag, der mir dann noch richtig gut gefallen hat, war der von Shane Show über „Smartcuts„. So heißt auch sein Buch, dessen zentrale These er eben in diesem Vortrag vorstellte, und zwar illustriert durch das Spiel „Bigger or better“. Man fängt mit einem kleinen, unnützen Gegenstand an, z.B. einem Zahnstocher, und versucht ihn, gegen etwas ein wenig besseres oder größeres einzutauschen. Das macht man dann so lange, bis man wirklich interessante Sachen ertauscht und zum Schluss etwas erhält, von dem man am Anfang, mit dem Zahnstocher in der Hand, niemals gedacht hätte, es ertauschen zu können. Seine Karriere-These nun: Man erreicht Ziele, von denen man vielleicht nur träumen konnte, wenn man sich immer wieder die Frage stellt, was vielleicht ein kleines bisschen größer oder besser wäre als die bisherige Aufgabe. So „tauschte“ er sich vom Gastautor für eine One-Man-Webseite über viele kleine Stationen, hin zu Wired, seinem ursprünglichen Traumarbeitgeber, und schrieb letztendlich sogar für den New Yorker. Diese Strategie bringt mit sich, nicht gleich am Anfang des Weges davon erschlagen zu sein, irgendwann mal bei den ganz Großen mitspielen zu wollen. Stattdessen sich Schritt für Schritt voranzuwagen, immer neues Selbstbewusstsein im Gepäck, der Aufgabe auch gewachsen zu sein, und am Ende schneller den Traum zu erreichen als man es jemals für möglich hielt. Snow brauchte vom Blog bis zu Wired gerade mal sechs Monate.
Es folgten dann noch mehrere Technologien-Ideen, die vorgestellt wurden, die mich allerdings mehr amüsierten als begeisterten, nämlich Kleider mit LEDs, die – immerhin – zum Beispiel Twitternachrichten anzeigen, die an die Trägerin geschrieben werden. Nicole Scherzinger hat das Kleid bereits getragen. Das 24/7-Monitoring für Schwangere dagegen erinnerte mich sofort an meine 17 Monate Schwangerschaft, in denen ich extrem genervt war von der Testwut der Gynäkologinnen und -logen. Da wünsche ich mir eher etwas mehr Freiheiten für Schwangere als Wearables, die der Trägerin zeigt, ob sie sich gerade „korrekt“ verhält.
Insgesamt hatte die Konferenz eine sehr gute Mischung aus digitalen Innovationen, Ideen, Coaching, entspanntem Netzwerken, Inspiration, die man als Zuhörerin einfach entspannt beim Zuhören in sich hineinfließen lassen konnte, und einer fröhlich-enthusiastischen Atmosphäre. Twitter spiegelte das ganz gut wider. Am Ende von Tag 2 war ich jedenfalls von all den beeindruckenden Frauen, den tollen Geschichten, den Ideen und Gedanken so überwältigt, dass ich noch bis zum Abend immer nur denken konnte: Morgen gründe ich mein eigenes Unternehmen. Mal gucken, wofür und womit.