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geht jetzt nebenan weiter, auf

haltungstattposen.de

Alle Texte, die man hier lesen kann, sind auch dorthin mit umgezogen. Optisch ist zwar auf der neuen Seite noch Luft nach oben, ich arbeite dran. Aber dort wird es ganz ab und zu auch immer mal wieder neue Texte geben, was hier nicht mehr geschehen wird.

Also bis gleich da drüben!

So, seit fünf Monaten nix geschrieben, dabei klebt schon fast genauso lange ein Post-it am Bildschirm, auf dem steht: „KarmaKonsum-Video“. Wie im vorletzten Eintrag vom September (oh mann, ich muss unbedingt die Blog-Frequenz erhöhen) ja angekündigt, war ich dann auch tatsächlich in Frankfurt und sprach auf der KarmaKonsum-Konferenz 2014 über „Die Do-It-Yourself-Revolution. Selbermachen statt Massenkonsum“. Und das ist das Video dazu:

https://vimeo.com/112284671

Was diesen Eintrag dann aber doch ein ganz kleines bisschen aktuell macht: dass mein Buch „Hab ich selbst gemacht“ von Kiepenheuer & Witsch tollerweise neu aufgelegt wird und demnächst im neuen, etwas bunteren Kleidchen im Buchhandel liegt.

Am 15. Oktober 2014 war ich in Linz und habe im Wissensturm der VHS einen Vortrag gehalten, der da hieß: „Schönheit als Leistung. Selbstinszenierung und gesellschaftliche Anerkennung“. Da Linz ja nicht für jede und jeden um die Ecke liegt, ist es besonders erfreulich, dass es den Vortrag auch als Videomitschnitt gibt. Der Vortrag beginnt bei Minute 4 und ist eine knappe Stunde lang.

Für Eilige der Vortrag in 15 Thesen:

1 Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der schlanke, sportliche Körper Leistungsfähigkeit signalisieren.
2 Allerdings gilt dies vor allem für Frauen: Sie gelten dann als erfolgreich, wenn sie ihren Körper unter Kontrolle haben.
3 Schon ab der Geburt unterstellen wir Mädchen, dass sie passiv sind und Jungen, dass sie aktiv sind.
4 Entsprechend werden kleine Mädchen wie Accessoires herausgeputzt und sie lernen, dass sie hübsch sein sollen.
5 Weibliche Vorbilder sind vor allem Schauspielerinnen, Sängerinnen, Models und die sind dünn, schön, begehrt.
6 Bei jungen wie alten Frauen entsteht das Gefühl: Wenn ich endlich ein paar Kilo abnehmen würde, wäre mein Leben besser/glamouröser, eben wie bei den Schauspielerinnen-Sängerinnen-Models.
7 Ein erschreckend großer Teil der Medien (Gossip-Blogs, TV-Starmagazine, Yellow Press) verdient damit Geld, diesen Stars zu attestieren, dass sie so gar nicht gehen (weil zu fett oder zu dürr) oder dass sie die supererfolgreichste Körperarbeit betreiben – und setzen damit die Standards, wie Frauenkörper auszusehen haben.
8 Die Unterstellung: Frauen, die „zu dick“ oder „zu unattraktiv“ sind, verschenken ihre Potenziale, haben sich nicht im Griff („die müsste doch nur mal …“).
9 Frauen wie Männer sind ehrgeizig, doch weil weiblicher beruflicher Ehrgeiz noch vielfach sanktioniert wird („karrieregeil“, „Rabenmutter“), tragen Frauen ihre Wettkämpfe im Privaten / an ihren Körpern aus.
10 Kein Frauenkörper ist je in Ordnung, es kann immer noch was gemacht werden: Damit verdienen Frauenzeitschriften ihr Geld.
11 Frauen, die mit ihren Körpern zufrieden sind, sind verdächtig.
12 Das Ideal wird von gephotoshoppten Bildern vorgegeben und obwohl die meisten Frauen wissen, dass es diese Körper nicht gibt, wollen sie genau so aussehen.
13 Junge Frauen orientieren sich an immer enger werdenden weiblichen Idealen, was als Folge einer Überforderung durch die Unendlichkeit der Wahlmöglichkeiten gesehen werden kann.
14 Körperkontrolle verleiht Machtgefühle, die gerade in Zeiten vielfacher globaler Machtlosigkeit angenehm sein können, und sie führt zielsicher zu Bestätigung, vom Kompliment bis zur besseren Bezahlung.
15 Wie Susie Orbach sagt: Es würde helfen, wenn unsere Körper mal wieder etwas tun und nicht nur sind, weil wir nur so die ungesunde Fixierung auf unser Äußeres überwinden können und auch Leistungen neu bewerten würden.

Ende Oktober spreche ich auf der KarmaKonsum-Konferenz 2014, und zwar über Do It Yourself, das Selbermachen. War ja auch mein Thema im Buch „Hab ich selbst gemacht“, erschienen 2011, und seitdem ist die Selbermach-Welle eher noch größer geworden.

Warum also gibt es immer mehr Menschen, die sich ihre Kleidung selber nähen oder im Mini-Hinterhof Gemüse züchten, die ihre Möbel selberbauen oder ihr Brot selberbacken? Ein paar Antworten habe ich vorab schon KarmaKonsum-Gründer und -Geschäftsführer Christoph Harrach in einem Interview gegeben. So glaube ich, dass das DIY eine fast schon zwangsläufige Gegenbewegung zum Massenkonsum ist. Ich glaube zwar nicht, dass das eine das andere irgendwann ersetzen wird, glaube aber, dass das Selbermachen umso populärer werden wird, je einheitlicher und zahlreicher unsere Konsumgüter werden. Besonders in unserer Kultur, die ja eigentlich auf Individualismus setzt. Wenn jedes Ding, das ich kaufe, noch zwei Fantastilliarden mal existiert, habe ich kaum eine Chance, mich von der Masse abzuheben. Also selber machen.

Außerdem waren wir noch nie so gut darüber informiert, wie unsere Konsumgüter produziert werden. Wir wissen über Sweat Shops, überdüngte Baumwollfelder, giftige Weichmacher Bescheid. Eine Zeitlang kann man Augen und Ohren fest zukneifen und das Ganze ignorieren – „ich kann das ja eh nicht ändern“ –, aber das Selbermachen bietet eben eine konkrete Alternative, bei der sich jeder Produktionsschritt kontrollieren lässt.

Ich könnte jetzt hier noch eine Roman über all die weiteren Aspekte des Do-It-Yourself als Konsumalternative schreiben,  jetzt aber erst mal schnell der Link auf das Gespräch, man kann es hier anhören: „Die Do-It-Yourself-Revolution. Selbermachen statt Massenkonsum“. Für die Konferenz kann man sich hier anmelden.

Auf der Konferenz wird es viele weitere spannende Vorträge geben, zum Beispiel zur Frage wie mehr Wachstum auch mehr Lebensfreude bedeuten kann, über bewussteres Wirtschaften, oder auch über Minimalismus in Zeiten der Individualisierung. Einige der Referentinnen und Referenten wurden ebenfalls vorab interviewt, man kann die Gespräche ebenfalls online anhören.

Ich freue mich, wenn wir uns in Frankfurt sehen. Sagt Hallo!

Vor zwei Wochen druckte der Stern Fotos aus Jade Bealls Buch „The Bodies Of Mothers“. Ich fand die Fotos sehr beeindruckend, denn die strahlen eine schöne Wärme aus, gleichzeitig sind sie ehrlich, sie zeigen die Spuren, die eine Schwangerschaft hinterlassen kann – und die Frauen auf den Fotos erzählen genauso ehrlich, was diese Spuren bei ihnen auslösen. Zum Beispiel das Gefühl, nicht mehr im eigenen Körper zu wohnen. Oder Stolz, so etwas Unglaubliches geschafft zu haben wie ein Kind neun Monate lang wachsen zu lassen. Manche Frauen gehen gelassen mit den Veränderungen um, manche hadern – genau so, wie es wohl einfach ist, wenn man mit Müttern über ihr Körpergefühl nach einer Geburt spricht.

Jade Beall, The Bodies Of Mothers

Diese Woche nun erschienen im Stern drei Leserbriefe zu dieser Fotostrecke, einer von einem Mann, zwei von Frauen.

Der Brief des Lesers:
„Das sind Frauen, die unsere Zukunft mit Schmerzen auf die Welt gebracht haben. Wir brauchen keine Frauen mit Fettabsaugung, Silikonbrüsten und Botoxbehandlung. Die abgebildeten Frauen zeigen das wahre Leben und sind schön anzusehen.“

Vielleicht ein bisschen pathetisch, das mit der Zukunft und so, aber warum nicht – wenn man länger als eine Sekunde über das Ding mit dem Kindermachen und Kinderkriegen nachdenkt, dann ist das auch verdammt faszinierend und großartig und man kann vielleicht auch gar nicht zu pathetisch sein bei diesem Thema.

Dann aber die beiden Briefe der Leserinnen. Mich hat’s fast umgehauen.

Leserin Nr. 1 schreibt:
„Für Geld tut man ja vieles … Ich finde einige dieser Bilder eklig. Mutter und Kind, das Stillen, Intimität, das Besondere – alles weg, alles verdorben. Mal schauen, was die Kinder später dazu sagen.“

Und Leserin Nr. 2:
„Diese Frauen müssen aber zu einer ganz kleinen Minderheit gehören. Ich habe viele Freundinnen mit Kindern und bei keiner einzigen hat sich der Körper so negativ verändert. Ich selber habe meinen Sohn mit 41 bekommen und sah danach besser aus denn je. Dieser Artikel macht nicht gerade Mut, Kinder zu bekommen.“

Die Verachtung, die aus beiden Briefen spricht, finde ich schwer zu ertragen – gerade auch, weil völlig klar ist, dass es die ganz alltägliche Verachtung von Frauen anderen Frauen oder sich selbst gegenüber ist. Die eine unterstellt, das mit den Schwangerschaftsstreifen und Kuschelbäuchen müsse ja nun wirklich nicht sein, wenn man sich nur ordentlich im Griff hat, trainiert, diätet, was weiß ich. Die andere sagt ganz offen, die fotografierten Mütter würden für ’ne schnelle Mark in Kauf nehmen, ihren Kindern psychischen Schaden zuzufügen.

Beide haben kein Problem, ihre Meinungen zusammen mit ihrem vollen Namen im Stern abgedruckt zu sehen, Leserbriefschreiberinnen und -schreiber werden von den Redaktionen stets auf diese Möglichkeit hingewiesen. Vielmehr müssen sie sich in ihrer Haltung so dermaßen sicher fühlen und so ganz und gar blind für ihre Verächtlichkeit sein, dass ich mich einfach nur frage:

Wann haben wir eigentlich aufgehört, anderen Frauen ein Mindestmaß an Respekt entgegenzubringen?